Schleierhaft: Über die Kultur des Schleiers in Europa(2010)
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Betrachtet man antike Skulpturen oder mittelalterliche Gemälde von Frauen, sind Schleier und Kopftücher allgegenwärtig. Sie verhüllen den weiblichen Körper und machen gerade dadurch Weiblichkeit sichtbar. Babylonische Göttinnen, Damen in der Antike und Madonnen auf mittelalterlichen Gemälden: Seit Menschengedenken verdecken Frauen ihr Haar, verhüllen ihr Gesicht oder den ganzen Körper. Schleier und Kopftücher sind mächtige, urweibliche Zeichen – und sie bilden einen Widerspruch in sich: Sie machen Weiblichkeit sichtbar durch Verhüllung. In westlichen Gesellschaften haben Schleier heute nur noch symbolischen Wert, als Brautschleier oder Nonnenhauben. Schleier und Kopftücher gelten als typisch islamische Kopf- und Körperbedeckungen. Im europäischen Straßenbild geben sich Kopftuchträgerinnen als Musliminnen zu erkennen. Und gerade bei jungen Frauen sind sie Ausdruck eines gestärkten muslimischen Selbstbewusstseins. Im Westen lösen diese Kopfbedeckungen heftige Gefühle aus. Sie transportieren die unterschiedlichsten Botschaften in Bezug auf Geschlechterordnungen und Religion, gleichzeitig enthalten sie eine Fülle kultureller, erotischer und modischer Codes. Über das Erscheinungsbild von Kopftuch- und Schleierträgerinnen in der Öffentlichkeit wird im französischen Parlament diskutiert, im deutschen Feuilleton gestritten, in niederländischen Internetforen debattiert. Ganzkörperschleier – die afghanische Burka und der arabische Niqab – stoßen auf strikte Ablehnung. Sogar einfache Kopftücher sind zu Sinnbildern für kulturelle Überfremdung, radikalen Islam, Unterdrückung der Frau im muslimischen Patriarchat und weibliche Unfreiheit schlechthin geworden. Schleier und Kopftuch waren und sind Inspiration für Kunst- und Kulturschaffende, früher thematisch fokussiert auf erotische und sinnliche Inhalte, heute auf das Spannungsfeld zwischen weiblicher Unfreiheit und Selbstbehauptung. Bis heute sind Schleier Projektionsflächen, für die Starkünstlerin Shirin Neshat ebenso wie für den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. Die Dokumentation spürt die höchst komplexen Bedeutungsebenen hinter den Zeichen auf. Sie fragt aus deutscher und französischer Sicht, welche Rolle sie bei der Interpretation von Weiblichkeit spielen, welche realen und eingebildeten Gefahren von diesem Stück Stoff ausgehen, und warum der Schleier trotz allem seine Faszination und Magie bewahrt.